Rotraut Quarch: Die Logik der Vielfalt

"Den Bildern eine eigene Sprache geben"


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NUR ZUM PERSÖNLICHEN GEBRAUCH
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Nomen es omen

Rotraut Quarch liebt das Spielen. In vielfacher Hinsicht. Schauspiel. Musik. Malerische Variabilität. Also auch das Wortspiel. Geboren wurde und aufgewachsen ist sie in (Solingen-) Wald. Seit fast einem halben Jahrhundert wohnt sie in (Solingen-) Unten zum Holz. 

HOLZ. Kaum eine andere Stofflichkeit eignet sich besser, als Rotraut Quarch, die mit Mäd-chennamen Vanselow hieß, zu beschreiben. 

Erstens, sie ist alles andere als hölzern im zu-weilen gebrauchten Sinne von „stocksteif“. Aber halt, ja doch: unbiegsam, unbeugsam, stark, belastbar, wenn es darauf ankommt – das aber schon! Knorrig? Ja auch, zeigen doch Gewächse mit solchen Merkmalen und Eigenschaften, dass sie so manchem Ungemach widerstanden haben, sich durchsetzen konnten. Holz ist Beständigkeit und Lebendigkeit zugleich, deshalb fasziniert es. Gibt es in der Natur sonst noch etwas, was Gegensätzliches perfekter in sich vereint – und jeden Part mit Bravour erfüllt?! Stärke, Dauerhaftigkeit, Energie. Aber auch Grazilität, Anpassungsfähigkeit, schwingende Biegsamkeit. Wachstum, Veränderung, Aufwärtsstreben. Stütze, Lastenträger, stoische Geduld. Nicht zuletzt: die wirkliche Schönheit von Holz ist verborgen, innen, wenn man das Äußere bewundert, aber auch überwunden hat: Struktur, Muster, Ebenmäßigkeit. Sanftheit, die mit Beharrlichkeit eine Symbiose bildet. 

Multipel oder symbiotisch? Äääähhh???

Irgendwie so, irgendwas von allem ist die vielseitige Künstlerin Rotraut Quarch. Die früh begann, ihr Talent im Laienspiel auszuleben. Die als Kind das Glück hatte, noch vom legendären Walder Organisten und Kirchenmusiker Carl Friedrich Gerschwitz für Musik begeistert worden zu sein. Die später, als sie längst einen Beruf ergriffen hatte – ganz unmusisch, als Arzthelferin, wie man es früher nannte – anderthalb Jahrzehnte mit stoischer Gelassenheit in der Solinger VHS Malunterricht nahm. 

Dabei war der Weg zur Kunst der Bilder alles andere als geradlinig – ebenso, wie ja auch Bäume in Windungen und Verdrehungen wachsen. Beinahe, bekennt sie, hat sie sich selbst im Wege gestanden. Ach was, nicht beinahe, sie hat! Weil sie glaubte, man müsse – so wie ihr Pflichtgefühl damals wie auch heute noch, wenn es um soziale Dinge geht, es ihr suggeriert – Anforderungen er-füllen, jemanden oder einem Ideal genügen. Heute nutzt man dafür gerne die Vokabel Leistungsdruck. 

Vielleicht fallen, wenn man mit ihr spricht, vielleicht genau diese entscheidenden Sätze, die verstehen lassen, warum Rotraut Quarch für vieles passend ist, aber nie-mals in eine kategorisieren-de Schublade passen würde: „Bis ich beim Malen begriffen hatte, dass es keine Pflicht gibt, die man erfüllen muss. Dass es niemals eine Vorgabe geben kann und wird. Dass man selbst entscheiden muss.“



Wenn aus „ich“ „es“ wird

Fast wäre der Rest schnell erzählt: Ja, sie sitzt, wie die meisten anderen bildmalenden Künstler auch, vor leerer Leinwand „und denkt sich nichts dabei“. Ja, sie weiß wirklich nicht, warum sie gerade jetzt ein zuckendes Rot hier und dort eine trotzig dicke Linie, geduldig schleierhaftes Lichtgesirre und vehement bedrohliches Totenschwarz malt. Plötzlich beginnen die Bilder – sorry, aber Kunst ist nun mal poetisch –, plötzlich beginnen die Bilder zu sprechen. Werden zu etwas, was sich vom Wollen und Tun der Malerin löst und ganz eigenen Charakter annimmt. Plötzlich, sagt sie lachend, vergnügt, aber auch sinnierend selbstfragend-verwundert, plötzlich sei da ein Bild, das sie zu-weilen selbst überraschen kann. Weil sie das Gefühl hat, es könnte ihr und anderer Menschen Gemüter erfreuen. Weil es Kraft hat. Weil es zärtlich ist.

Immer? Nein. Sie kann auch trotzig! Ein Nein, ein „so nicht“ kommt impulsiv und dominant, und dann steht das Bild in der Ecke – zur Strafe gewissermaßen. Aber niemals ohne Wert. Oft jahrelang. Und bekommt irgendwann eine andere Bedeutung – weiß etwas anderes zu sagen. Denn in einem sind auch Malerinnen nicht anders als der Rest der Menschheit: So wie sich Gewüchs und Gewächs entwickeln, geht es Geist, Gedanken, Gemüt. Man wird anders – und bleibt doch seinem ureigenen Wesen treu. 

Tröööööööt

Da ist es leicht anzudeuten, wie Rotraut Quarch auch als Musikerin ist. Das fängt ja schon damit an, dass sie nicht Geige oder Flöte, Gitarre oder Harfe spielt. Nein, Flügelhorn. Beginnend („Unsere arme Hof- und Nachbarschaft: Ein Jahr haben wir nur getrötet.“) mit dem urigsten der Jagdhörner, der Fürst-Pless’schen Version, womit die Strecke verblasen wird, wie es die Jägersprache sagt. Am Ende vieler Jahre Übungen stehen dann eben das orchestrale Flügelhorn und vor allem tägliches Üben, diesmal konzertanterer Art, so wie sich die Bilder vom reinen Malen zu selbständigen Werken, zu Gemälden, weiterentwickelt haben. 

 

Warum sie das alles tut? Die Antwort auf diese Frage bleibt sie schuldig. Wer sie kennt weiß, dass in dem Moment, da sie eine Antwort wüsste, auch ihre Kreativität versiegen würde. Sie, die als junges Mädchen „am Beginn ihrer Karriere“ verschüchtert auf einer Laienspielbühne stand und sich unschuldig im ,Zerbrochenen Krug’ polterndes und lautstarkes Lamentieren vom Dorfrichter anhören musste. Noch heute wirkt sie zuweilen, konzentriert und zugleich erstaunt blickend, wie schüchtern. Vor allem auch, wenn sie ob ihrer Werke, ihrer Kreativität, ihrer Talente gelobt wird. 

 

Aber man muss sie loben. Und das tue ich hiermit. Schallend trötend wie ein Jagdhorn im Walde. Damit es alle Welt hört. Ich tue es laut, polternd, lamentierend, denn damals der Dorfrichter – das war ich.

 Hans-Georg „Schorsch“ Wenke